Handgewebtes fürs Leben

Simone Walter (Text), Annett Melzer (Fotografie)

Die Weberei – seit Jahrtausenden bringt dieses Handwerk wertvolle Stoffe für den elementaren Lebensalltag hervor, ebenso wie kostbares Material für Feste und Rituale. Wohl ebenso lange ist das Weben Sinnbild für das Leben in seinem Verlauf, seiner Vielfalt, Struktur und Kontinuität. In dem ehrwürdigen ehemaligen Betraum des Klosters Lüne machen vier Weberinnen die alte Handwerkskunst in all ihren Facetten wieder lebendig und erlebbar.


Die Tür zur Webstube in dem historischen Gemäuer neben der Klosterpforte steht einladend offen, farbenfrohe Decken, weiche Schals und aparte Geschirrtücher locken den interessierten Besucher in eine Werkstatt, die Geschichte und Tradition atmet. Zwischen dicken, geschnitzten Eichenständern stehen vor alten Wandgemälden große Webstühle, an denen bereits viele Hände gearbeitet haben. Alte Koffer und Truhen, randvoll gefüllt mit weichen Wolldecken und Kissen in verschiedenen Farben und Mustern wispern von der schöpferischen Faszination, die die vier Handwerkerinnen antreibt.

Weben – eine komplexe Handwerkskunst

„Man lernt nie aus! Und es ist immer wieder spannend, was dabei herauskommt“, erklärt Ulrike Söhl begeistert und Webmeisterin Gerda Thost pflichtet ihr bei: „Beim Weben entstehen immer wieder neue Ideen, man kann mit Materialien, Farben und Webart spielen – es gibt unendlich viele Möglichkeiten.“ Dabei haben sie und ihre Kolleginnen Helga Edler und Monika Sürie bereits jahrzehntelange Erfahrung, die auf einer umfassenden Handwerksausbildung fußt. Drei Jahre intensive Schulung in Materialkunde, Bindungslehre, Gewebeplanung und Fachrechnen gehören dazu, um auch komplexe Werke erstellen und dokumentieren zu können. „Alleine das Einrichten eines großen Webstuhls mit dem Aufziehen der Kette dauert zwei volle Tage“, erläutert die Webmeisterin. An den bis zu 20 m langen Kettfäden werden dann hintereinander mehrere Stücke gewebt, anschließend auseinandergeschnitten und gesäumt, mit gedrehten oder geflochtenen Fransen versehen.

Jedoch – Massenproduktion gibt es hier nicht. „Wir machen vielleicht drei Schals von einer Sorte, denn es sollen Unikate bleiben“, so die Philosophie der Gruppe. „Wenn viele Leute damit herumlaufen, bekommt es so einen Warenhaus-Charakter“, findet Gerda. Dem gelegentlichen Wunsch nach demselben Schal, der der Kundin bei einer Freundin so gefallen hat, kommen die Handwerkerinnen dennoch gerne nach. „Es wird ja doch immer ein bisschen anders durch die individuelle Anfertigung“, erklärt die Weberin.

Natürliche Rohstoffe

Verarbeitet werden ausschließlich Naturmaterialien – Leinen und Baumwolle, Seide, Schafwolle und Kaschmir. Auch mit Fasern der Brennnessel wurden bereits vielversprechende Webversuche gemacht. Das Gros der Wolle stammt von Schafen aus Island, Norwegen und Schweden. Die Rassen dieser Regionen liefern lange, weiche und saubere Fasern, die für die Handweberei ideal sind. Leinen steht bei den Handwerkerinnen für Geschirrtücher und Tischdecken hoch im Kurs – „das gibt einen schönen Glanz und gute Festigkeit.“ Ein besonderer Schatz ist das noch handgesponnene Leinen aus Altbeständen vor dem Krieg. Vieles haben sie aus Restbeständen schließender Webereien aufgekauft oder von Bauern geschenkt bekommen, die die Spulen mit dem sackfarbenen Garn aus Großmutters Zeiten auf dem Dachboden fanden und damit nichts mehr anzufangen wussten. „Heute ist dieser Naturton sehr beliebt, früher hat man das Leinen zum Bleichen gekocht oder auf die Wiese in die Sonne gelegt“, berichtet Gerda und Ulrike schmunzelt: „Mein Mann erzählt, er musste bei der Oma immer aufpassen, dass die Gänse nicht übers Leinen laufen.“

Qualität und Alltagstauglichkeit

Bei der Qualität ihrer Werke sind die Frauen ständig am Tüfteln und Verbessern. Ein leichter Wollschal, dessen Fasern sich gerne an Knöpfen verhakten, unterzog Gerda so lange unterschiedlichen Filzbehandlungen, bis sie genau die richtige Bearbeitungsweise für das gewünschte Ergebnis herausgefunden hatte: Ein Gewebe, das unmerklich so sanft gefilzt ist, dass die einzelnen Fasern zusammenhalten, ohne die Weichheit des Stoffes oder die Struktur des Materials zu beeinträchtigen.

Ein Schal aus Seide erwies sich als ungeeignet für Bartträger, da die Barthaare feine Gewebefasern aus dem Schal zogen. Nun werden die Männer dahingehend beraten, sich für Schals mit Baumwollkette und Merinowolle zu entscheiden, denn „die Kunden sollen uns ja in guter Erinnerung behalten!“

Und das tun sie – viele bis in den Hamburger Raum sind langjährige Stammkunden und schauen immer wieder gern herein, um zu sehen, was es Neues in der Weberwerkstatt gibt. Und immer mehr Interessierte nehmen die Möglichkeit wahr, über die angebotenen Webkurse in das Werken mit Fasern und Farben zwischen Litzen und Schäften hineinzuschnuppern.

Weben als späte Berufung

Wie einst die vier gestandenen Weberinnen, die alle als Quereinsteigerinnen ihre Berufung gefunden haben. Gerda, die dienstälteste des Teams, begann ihre Arbeit 1990 zusammen mit dem Betriebsgründer Heinz Friedrich Meyer im ehemaligen Klosterbetraum, der bereits zwischen 1948 und 1965 eine Weberei beherbergt hatte. In der wiedereingerichteten Weberwerkstatt begann sie bei Webermeister Meyer ihre Ausbildung, da war sie gerade Vierzig. Strahlend erinnert sie sich: „Ich war so glücklich, als ich hier reinging, es war herrlich!“ Das Weberhandwerk war bereits lange ihr heimlicher Traum gewesen, zuvor hatte sie als Drogistin gearbeitet. Als älteste von sechs Geschwistern war es für die Familie zunächst vorrangig gewesen, dass sie Geld verdiente, anstatt ihrem eigentlichen Berufswunsch nachzugehen.

Ulrike und Helga hatten beide zuvor viele Jahre eine Kindertagesstätte geleitet. Ulrike hatte sich bereits seit langem über Kurse mit der Weberei beschäftigt und wurde dann die erste Auszubildende von Gerda, die gerade ihre Meisterprüfung gemacht hatte, „– mit fünfzig! Was tue ich mir da eigentlich an“, habe sie sich gefragt. „Aber ich habe beschlossen, Nägel mit Köpfen machen.“ Auch Helga entdeckte in einem Kurs, dass das Weben genau das ist, was sie machen will: „Nachdem ich meinen Teppich gewebt hatte, beschloss ich, meinen Beruf aufzugeben und Weben zu lernen.“ Sie kündigte und absolvierte die Weberlehre.

2004 stiegen beide als Weberinnen mit in die Werkstatt ein. Dazu stieß 2009 Monika Sürie, im Erstberuf Innenarchitektin. Nach der Babypause beschloss sie, sich umzuorientieren, das textile Handwerken zog sie an. Ein Praktikum in einer Handweberei festigte ihren Wunsch, und sie absolvierte die Weberausbildung im Werkhof Kukate im Wendland, der heute bundesweit einzigen Berufsschule für angehende Handweber.

Die Weberei im Kloster – Wirkungsbereich mit Ausstrahlung

Das Team der vier selbständig arbeitenden Weberinnen ergänzt sich gut in der Klosterwerkstatt. An jedem der vier Wochentage von Dienstag bis Freitag, an denen das Kloster geöffnet ist, kümmert sich mindestens eine der Frauen zwischen 10 und 17.30 Uhr um Laden und Kundschaft. Der Verkauf läuft so gut, dass die Handwerkerinnen außerhalb ihrer Werkstatt nur auf wenigen ausgewählten Märkten anzutreffen sind. „Auf die Textilfachausstellung in Neumünster gehen wir gern, weil es uns Spaß macht, dort Kollegen zu treffen und uns auszutauschen“, erklärt Gerda.

Die Werkstatt im Kloster bietet den vier Kolleginnen auch sonst ideale Bedingungen für ihr Handwerk. Getragen wird die Raummiete von der Heinz-Friedrich-Meyer-Stiftung, die Weberinnen führen dafür zehn Prozent ihres Umsatzes an die Stiftung ab. Der 2004 verstorbene Webermeister hatte die Stiftung zur Förderung der Webkunst 1998 gegründet. Seit vielen Jahren trieb ihn die Vision voran, die Weberei stärker mit weiteren Feldern wie der Pädagogik und Therapie, sowie Kunst und Design zu verbinden und bis heute ist er im Alltag „seiner“ Weberinnen gegenwärtig: Von einem Portraitfoto grüßt er in den Raum, neben seinem Filzhut liegt noch eine launige Zettelbotschaft, wenn er mal seine Ruhe haben wollte. Gelungen ist dem ebenso eigenwilligen wie leidenschaftlichen Botschafter der alten Handwerkskunst jedenfalls, weitere Menschen für die Handweberei zu begeistern, den Wert dieser Tätigkeit zu Bewusstsein zu bringen und neue Impulse zu setzen.

Weben und Leben

Der Wert der schönen handwerklichen Dinge wird inzwischen wieder erkannt und geschätzt. Und der zunächst luxuriös erscheinende Preis für die guten Produkte erscheint in neuem Licht, betrachtet man die gewonnene Lebensqualität und die Haltbarkeit der oft vielgenutzten Alltagsutensilien. Die Handweberinnen wissen das längst, denken und leben in ihrem Haushalt teilweise in ganz anderen Zeiträumen. „Ich habe nur noch alte Geschirrhandtücher im Haushalt“, erklärt Gerda, „solche, die unsere Großmütter gewebt haben. Die sind einfach total schön.“

Gerne beantworten die Handwerkerinnen Fragen rund um die Herstellung und Tradition ihrer Produkte. Und Besucher, die selbst eintauchen wollen in die Faszination des Handwebens, haben dazu alle Möglichkeiten. Neben den regulär angebotenen Kursen kann man sich nach Absprache tageweise in die Werkstatt an einen der Webstühle setzen und mit dem Tanzen des Weberschiffchens herausfinden, wohin der eigene Lebensfaden wohl führen mag.